Politik, Recht & Regulierung

Das Jahr 2023 könnte als das Jahr des Künstlichen Intelligenz in Erinnerung bleiben, in dem die EU eine bedeutende Einigung im komplexen Gesetzgebungsverfahren rund um den AI-Act erzielte. In den Verhandlungen zwischen der EU-Kommission, dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten gab es bis zur letzten Runde, dem sogenannten Trilog, viele offene Fragestelllungen. Nach rund 36 Stunden Verhandlung wurde schließlich ein Durchbruch erzielt, was einen Rekord für Verhandlungen dieser Größenordnung darstellt.

Wir spürten 2023 deutlich, die Bedeutung der europäischen Gesetzgebung für Unternehmen der Digitalwirtschaft nimmt immer weiter zu. Ein Großteil der zentralen Entscheidungen im Bereich der Digitalisierung wird mittlerweile auf EU-Ebene getroffen, was erhebliche Auswirkungen auf die Branchenentwicklungen und -standards hat.

Gründung neuer Kompetenzgruppe KRITIS

Ein Beispiel ist die NIS 2-Richtlinie, die im Dezember 2022 veröffentlicht wurde und den Grundstein für die nationale Umsetzung legte. Mit der Einführung des Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Umsetzung der CER-Richtlinie im Juli 2023 nahm die Debatte weiter Gestalt an. Die NIS2- und CER-Richtlinien regeln nun den Schutz kritischer Infrastrukturen, wodurch das Regulierungsfeld für diese immer größer wird. Dies stellt zahlreiche deutsche Unternehmen vor neue Herausforderungen und regulatorische Anforderungen und veranlasste eco im Mai dazu, in einer konstituierenden Sitzung, die neue Kompetenzgruppe „KRITIS“ ins Leben zu rufen.

eco kritisiert CSAM-Verordnung inklusive Chatkontrolle

Die CSAM-Verordnung der EU-Kommission, einschließlich der umstrittenen Chatkontrolle, löste im vergangenen viele Diskussionen und Kritik aus. eco setzte sich auf verschiedenen Ebenen dafür ein, die Vorschriften zur proaktiven Suche nach sexuellem Kindesmissbrauch im Internet zu überdenken und zu überarbeiten.

Auf nationaler Ebene: Gemischte Bilanz bei der Ampel-Koalition 

Auf nationaler Ebene zog eco nach rund zwei Jahren Ampel-Koalition eine eher gemischte Bilanz hinsichtlich der digitalpolitischen Fortschritte. In drei von zwölf im Rahmen des eco Ampelchecks untersuchten digitalpolitischen Handlungsfeldern stand die Ampel im November 2023 aus Sicht des Verbands noch auf Rot, d. h., es ist keine positive Entwicklung im Vergleich zu den im Koalitionsvertrag formulierten Zielen erkennbar. Diese Bereiche betreffen digitalpolitische Zuständigkeiten, digitale Bildung und Vorratsdatenspeicherung. Mäßige digitalpolitische Fortschritte erkannte eco in acht von zwölf weiteren bewerteten Themenfeldern. Hierzu zählen die europäische und internationale Netzpolitik, der Ausbau digitaler Infrastruktur sowie Maßnahmen in den Bereichen Künstlicher Intelligenz, nachhaltiger Digitalisierung, Cybersicherheit, der Digitalen Verwaltung sowie New Work. Lediglich im Bereich der Datenpolitik ist für eco die Digitalpolitik der Ampel-Koalition aktuell im grünen Bereich.

Mit der veröffentlichten Datenstrategie ist der Bundesregierung ein großer Wurf gelungen: Offene Daten nutzen der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Demokratie gleichermaßen. Doch ihr immenses Potenzial kann nur dann vollständig ausgeschöpft werden, wenn Rechtsunsicherheiten und mangelnde Bereitstellung in der Praxis behoben werden. 

Trotz dieser positiveren Entwicklungen im Bereich der Datenpolitik brachte die Verantwortungsdiffusion und Zersplitterung der digitalpolitischen Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung 2023 die digitale Transformation in Deutschland zunehmend ins Stocken. Statt einer ambitionierten Digitalpolitik erlebten wir auch nach zwei Jahren Ampelregierung allenfalls ein Stop-and-Go.

ICANN78: Ein Highlight des Jahres 2023

Ein Höhepunkt im Jahr 2023 war zweifellos das 78. ICANN Meeting, das nach über 20 Jahren zum ersten Mal wieder in Deutschland stattfand. Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) ist die globale gemeinnützige Organisation, die den Namensraum im Internet verwaltet und das wichtigste Forum für den Austausch zwischen Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft über die Gestaltung und Regulierung dieses Namensraums. Auf Einladung von eco, DENIC eG und der Freien und Hansestadt Hamburg versammelte sich die internationale ICANN-Community vom 21. bis zum 26. Oktober in Hamburg. Über 2.800 Teilnehmer:innen aus Technik, Wirtschaft, Politik, Forschung und Zivilgesellschaft aus aller Welt nahmen an diesem Treffen teil. Unser gemeinsames Ziel war es, klare Regeln für die sichere Nutzung des Internets für alle zu gewährleisten – eine herausragende Veranstaltung.

Ausblick: 2024 wird ein globales Superwahljahr

Im kommenden Jahr 2024 erwartet uns ein Superwahljahr, in dem über 60 Nationen, darunter die EU und die USA, wählen – das betrifft etwa 45 Prozent der Weltbevölkerung. Besonders spannend wird die Europawahl sein, die eco mit einer Agenda für die Digitalpolitik begleiten wird. Unser Ziel ist es, relevante Themen zu sammeln, Positionen zu erarbeiten und ein Gesamtkonzept für Europa von 2024 bis 2029 zu entwickeln. Europa gewinnt zunehmend an Bedeutung, und die Regulierungsdichte nimmt zu, besonders im digitalen Bereich. Verstärkte Regulierungsansätze in der Digitalpolitik sind für eco und unsere Mitgliedsunternehmen von großer Relevanz. 

Zahlreiche Herausforderungen und Fokusthemen auf nationaler und europäischer Ebene stehen somit auch 2024 im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit!

Oliver J. Süme
Vorstandsvorsitzender
Vorstand Politik, Recht und Regulierung